Sonntag, 12. Januar 2003

Gedanken über den Tod

Nehmen wir einmal an, Gott nimmt sich eines Tages die Zeit und sieht sich das, was ihm erstaunlich junggesichtige, aber leider wegen Herzinfarkt vorzeitig am Himmelstor klopfende Manager immer so über Rationalisierung erzählen, einmal genauer an. Und dann sagt er sich, hey, die Jungs da unten sind doch gar nicht so dämlich, warum bin ich da nicht längst selber drauf gekommen. Also schaut er gleich einmal beim Tod vorbei und sagt ihm, du, Tod, ich sag dir, so kann das nicht weiter gehen. Nicht dass ich dich rauswerfen will - der Job muss ja schließlich getan werden - aber als Vollzeitangestellten mit sämtlichen Sozialleistungen kann ich dich einfach nicht länger halten. Aber ich kann dir ein wirklich gutes Angebot für eine Teilzeitbeschäftigung machen. Sieh doch die Vorteile! Du hast dann viel mehr Freizeit und kannst sie nutzen, wozu du willst. Ich will aber nicht unerwähnt lassen, dass du in Zukunft ein paar Kollegen bekommst, natürlich auch Teilzeitler, und wahrscheinlich auch ein paar freiberuflich Tätige. Das hat für dich den Vorteil, dass du dann jederzeit die Qualität deiner Arbeit bewerten kannst, indem du sie zum Beispiel mit der deiner Kollegen vergleichst. So, jetzt aber los los, an die Arbeit!

Was aber macht nun so ein Teilzeit-Tod? Hängt er die schwarze Kutte einfach an den Nagel und setzt sich mit einem Bier vor den Fernseher, wenn er gerade nichts zu tun hat? Weit gefehlt! Denn wer garantiert ihm, dass Gott nicht eine Liste führt, wo die Leistungen aller Tode aufgezeichnet und mit raffinierten Statistiken miteinander verglichen werden? Wer garantiert ihm, dass er nicht irgend wann raus geworfen wird und sich dann bestenfalls beim Teufel als Aushilfsfolterknecht bewerben kann? Also muss ordentlich angepackt werden, denn der Himmel braucht frische Seelen. Das von ihm abgeschlossene Agreement für eine Zusatzbeschäftigung als freiberuflicher Tod bedeutet nicht nur einen sozialen Abstieg, sondern einen Haufen Stress für einen mickrigen Zusatzlohn. Aber was tut man nicht alles für ein paar zusätzliche Kerben in der Sense und Striche auf Gottes Leistungsliste. Sense? Eine vollwertige Langstielsense leistet sich natürlich keiner der Teilzeittode. Vor allem für die Freiberufler haben sich kleine Klappsensen oder solche mit Teleskopstiel als außerordentlich praktisch erwiesen, weil man die auch dann mitführen kann, wenn man gerade "Freizeit" hat. Auch wenn man gerade in der Badekutte am Strand sitzt: kaum sieht man ein potenzielles Opfer, gehts klapp-klapp und draußen ist die Sense. Dumm nur, dass die Motivation und Seeleneinbringrate der Tode dadurch zwar unglaublich gestiegen sind, aber niemand an den Resourcenerhalt gedacht hat. Und so vergehen keine 20 Generationen und weg ist die gesamte Menschheit. Allesamt schön verteilt auf Himmel und Hölle. Was bleibt den supereffizienten Toden also anderes übrig, als sich gegenseitig den Garaus zu machen? Und nachdem alle Klappstiel- und Teleskopsensen ihr Werk vollbracht haben und nur mehr der erste, der Ur-Tod übrig ist, wendet sich Gott ihm mit gerunzelter Stirn zu und sagt: "Okay, sagen wir einfach, heute ist der Jüngste Tag."

 
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Aktualisiert: 07.04.20, 11:16
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