Sonntag, 8. März 2009

Dummheit an der Macht

Dass die verschiedenen Ausformungen westlich geprägter Demokratie nach wie vor dringend - wie das folgende Beispiel zeigen wird, sogar sehr dringend - Regelmechanismen benötigen, die nur solche Menschen mit Macht ausstattet, die über ein Mindestmaß an Fachkompetenz und Problembewusstsein innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs verfügen, zeigt sich leider nur all zu oft.

Das südlich von Braunschweig gelegene Atommülllager Asse II ist ein ganz besonders erschütterndes Beispiel für diesen Umstand. Man lagert dort in einem Salzstock seit den späten 1960er Jahren Atommüll, indem man ihn zuvor in Stahlfässer packt und dann dorthin verfrachtet. Man dachte nicht nur damals, sondern auch noch bis vor wenigen Monaten, dass dieses Endlager absolut sicher sei.

Was die Kombination der Worte "absolut" und "sicher" konkret bedeutet, muss in diesem Zusammenhang näher beleuchtet werden, weil wir in unserer Alltagssprache eher leichtfertig damit umgehen. "Absolut sicher" muss (nicht etwa "soll", sondern definitv und ausnahmslos "muss") für ein Atomendlager dieser Art bedeuten, dass jegliche Interaktion mit seiner Umgebung für einen Zeitraum von einer Million Jahren unterbunden bleibt.

Hier beginnt das Problem: Der menschliche Hausverstand ist per se nicht dazu in der Lage, mit derartigen Dimensionen umzugehen. Es ist uns nicht möglich, für den Begriff 1 Mio. Jahre eine adäquate emotional empfindbare Begrifflichkeit zu entwickeln. Unser Gefühl sagt uns einfach "das ist eine sehr lange Zeit". Im Prinzip haben wir bei einem Blick in die Zukunft über 1 Mio. Jahre kein anderes Gefühl als bei 200 Jahren.

Das wäre auch kein Problem, wenn es nicht Menschen gäbe, die konkrete Handlungen setzen, deren Folgen nicht etwa 200 Jahre, sondern eben 1 Million Jahre in die Zukunft reichen.

Das Anlegen von Atomendlagern ist eine solche Handlung.

In das besagte Endlager - konzipiert für eine Haltbarkeit von 1 Million Jahren - ist bereits nach 20 Jahren (also nach 1/50.000 dieser Zeit) Grundwasser eingedrungen. Der Salzstock wird Berechnungen zufolge in knapp 10 Jahren einstürzen.

Es gibt in unserer Sprache keine Möglichkeit, das Ausmaß dieser Verantwortungslosigkeit auch nur annähernd begrifflich darzustellen.

Allein schon die Idee, extrem gefährliche Substanzen an irgendeinem Ort 1 Mio. Jahre lang absolut zuverlässig sichern zu wollen ist - so sie von einem mit entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Politiker kommt - ohne weitere Diskussion mit einer sofortigen Amtsenthebung zu ahnden.

Noch gefährlicher als solche Politiker sind beratende Wissenschaftler, in diesem Fall Geologen, die ihre wissenschaftliche Expertise dazu benutzen, Prognosen über Zeiträume von 1 Mio. Jahren abzugeben. Für solche Wissenschaftler wäre m.E. der sofortige Entzug der Lehrbefugnis dringend angebracht.

All das wird nicht geschehen, weil wir dazu neigen, stets solche Menschen mit Macht auszustatten, die unsere unmittelbaren Bedürfnisse befriedigen. Und zwar nicht die zukünftigen, sondern die, die wir hier und jetzt haben. Wir wollen jetzt etwas zu essen, jetzt ein warmes und sicheres Zuhause und jetzt ein neues Auto. Was in 20 Jahren ist, interessiert niemand wirklich. Und erst recht nicht, was in 1 Million Jahren ist. Deshalb werden wir weiterhin Fissionskraftwerke bauen und den Müll an Orten lagern, wo uns vertrauenswürdige Menschen sagen, dass er dort sicher ist.

Und deshalb sehe ich langfristig für das Leben auf diesem Planeten ziemlich schwarz.

 
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Aktualisiert: 07.04.20, 11:16
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