Donnerstag, 24. Mai 2007

Check your ID

Das Erkenntnis eines Hamburger Gerichts, wonach die Betreiber von Internetforen generell für jede dort publizierte Äußerung haften (es sei denn, sie distanzieren sich bei jedem Beitrag einzeln von dessen Inhalten), bringt mich einmal mehr auf einen interessanten Gedanken:

Unser Rechtssystem geht von der naiven Annahme aus, dass die Idendität einer Person gewissermaßen von Natur aus eindeutig definiert ist. Klar, wenn der Herr Max Mustermann vor mir steht, kann ich ihn ja sehen, angreifen, ihn nach seinem Pass fragen, seine Fingerabdrücke oder sogar seine DNA überprüfen. Aber selbst in diesem Fall ist die eindeutige Überinstimmung der Idendität von Person und der von dieser Person verübten Handlungen ein Punkt, über den ich sehr lange diskutieren kann.

Noch sehr viel stärker gilt das in der zunehmend virtualisierten Umwelt, die uns der verteilte und asynchrone Informationsaustausch über das Netz beschert.

Ein Gedankenexperiment: Herr Mustermann und seine Chat-Freunde kreieren einen Avatar in Second Life und laufen damit ein bisschen in der virtuellen Welt herum. Manchmal steuern mehrere Personen gleichzeitig den Avatar (per Skype-Absprache), manchmal nur einer von ihnen. Der Avatar kommt an einem Laden vorbei, wo man sich gegen Linden-Dollar neu einkleiden und sich von jemandem namens "cathy123" ein hübscheres Gesicht designen lassen kann. Mit dem neuen Avatar wird zu einer Insel geflogen, wo ein freundlicher Bewohner namens "Al Bundy19" seine Villa gratis zur Besichtigung anbietet. Was unser Avatar und dessen Bediener/Erschaffer nicht wissen, ist, dass diese Villa an einigen Stellen mit virtuellen Schaltern ausgestattet ist, deren Position und Funktionalität von der Temperatur und dem Luftdruck an 298 verschiedenen Orten der realen Welt beeinflusst werden. Das geht, weil jemand (oder mehrere jemand?) auf einem virtuellen Server ein Skript laufen lässt, das diese meteorologischen Messwerte abfragt und in die Gestaltung dieser Second-Life-Insel einfließen lässt. Der Punkt ist: Wenn jemand einen dieser Schalter berührt (beispielsweise, indem er sich auf einen virtuellen Sessel setzt oder einen virtuellen Knopf an einer virtuellen Wand drückt), löst das ein Ereignis in der realen Welt aus. Welches das ist, entscheidet wiederum eine Funktion in dem steuernden Skript, die u.a. von der Zahl der gerade in Second Life eingeloggten Personen gesteuert wird. Als Ergebnis kann beispielsweise automatisch eine Überweisung auf das Bankkonto einer realen karitativen Organisation ausgelöst werden, aber auch ein besonders heimtückisches Computervirus Verbreitung finden, das wiederum kein Programmierer, sondern ein automatischer Virenkit erzeugt hat.

All das hängt vom Wetter an den 298 Orten ab. Oder von 297, wenn gerade eine Wetterstation ausfallen sollte. Und von dem Schalter, der gerade gedrückt wird. Und von der Zahl der gerade anwesenden virtuellen Mitspieler.

Die Frage: Bei wem kann sich die reale karitative Organisation bedanken? Wer ist schuld, dass dieses heimtückische Computervirus freigesetzt wurde? ############## Und es geht noch lustiger: Was, wenn ein findiger Avatar aus Second-Life "auf die Idee käme", das langweilige Leben dort zu bereichern, indem man dort ein "Third Life" kreiert? Avatare, die Avatare steuern, die wiederum in einer noch weiter abstrahierten Welt agieren. Bis auch denen langweilig wird und ein "Fourth Life" kreiert wird, usw., usw.

Und was, wenn ein Ereignis aus dem Fourth Life auf unser Real Life rückwirkt und dadurch Schaden entsteht?

Nach Hamburger Rechtserkenntnis wäre in jedem Fall die Firma Linden schuld. So einfach können Richter die Welt machen...

 
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Aktualisiert: 07.04.20, 11:16
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