Donnerstag, 20. April 2006

20 Jahre und ein bisschen weiser

"...der Überzeugung, dass all diese Strahlung zwar gefährlich und möglicherweise tödlich sein könnte - aber nicht für uns." So weit ein Konklusio einer persönlichen Betrachtung der Chronistin zum 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe.

Ja, genau so war das auch für uns damals. Wobei "uns" einen Haufen Chemie-HTL-Schüler meint. Nicht allzu weit von der Maturaklasse entfernt, haben wir diese Wochen auf eine sehr unmittelbare Art miterlebt: Finstere Mine beim Professor für anorganische Chemie, nachdem wir ihn während eines Labornachmittags gefragt hatten, wie denn seine Luftmessungen am schuleigenen RFA (sehr genaues Messgerät) so aussehen. "Nicht sehr gut, gar nicht sehr gut", meinte er damals.

Aber wir waren mitten in den Achtzigern. Ergo lebten wir mit dem permanenten Wissen, dass jederzeit ein nuklearer Winter anbrechen konnte (ein Hauptthema im Religionsunterricht), unsere Zukunft im besten Fall eine Position im mittleren Management bringen würde und wir als Chemiker wenigstens etwas genauer wissen würden, auf welche Art sich die Radioaktivität in unsere Körper schleichen würde. Nur hatte das alles irgendwie keine unmittelbare Bedeutung für unser persönliches Leben.

Wir waren trotzdem definitiv nicht optimistisch damals, nicht nach Tschernobyl und auch nicht vorher. Grundsätzlich hat dieser "Unfall" unsere Sicht der Welt und der unserer Position darin so gut wie überhaupt nicht verändert, was mich aus heutiger Sicht schon sehr erschreckt, andererseits aber keineswegs wundert.

Denn schließlich waren das ja die 80er. Das Jahrzehnt, in dem sich Heerscharen viel zu Mächtiger aufmachten, die Welt so zu verändern, wie ihnen das etwa Michael Douglas in "Wall Street", oder Medienidole wie Falco und der "Wiener" vorgemacht haben. Ich frage mich ernsthaft, ob es in der westlichen Industriegesellschaft jemals ein Jahrzehnt gegeben hat, das von einem derartigen Mix aus ohnmächtigem Fatalismus und sozialer Kälte geprägt war wie die 1980er Jahre. Eine Prägung, die bis heute unübersehbar ihre Spuren hinterlässt.

Und doch ist ebenso unübersehbar, dass diese Zeit vorüber ist, eindeutig, sicher und unwiderrufbar. Und das verschafft mir schon eine sehr ordentliche Portion Hoffnung.

 
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Aktualisiert: 07.04.20, 11:16
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